Heinz Hajek-Halke: Vorwort zur Ausstellung „Lichtgrafik – Leuchtbilder – diaphane Grafik“ von Kurt Wendlandt

Heinz Hajek-Halke, war zusammen mit Kurt Wendlandt Teil der West-Berliner Avantgarde-Szene Lichtgrafik. Halke schrieb den nachfolgenden Text als Vorwort zu Kurt Wendlandts Lichtgrafik-Ausstellung in der Galerie Clarissa in Hannover 1968. Dieser Text ist auch das Vorwort zu Kurt Wendlandts Bildmappe „Neue Figurationen“, Starczewski-Verlag München

Es gibt Dinge, die einfach so „in der Luft liegen“, dass sie fast gleichzeitig von verschiedenen Menschen einer Berufsgruppe, ohne vorherige Absprache, an den verschiedensten Orten, aufgegriffen und weiterentwickelt werden, wenn eine Zeit dafür reif ist.

So wurde vor etwa 10 bis 15 Jahren auf experimenteller Basiseine neue Technik gefunden, die sich besonders für künstlerische Gestaltung anbot: die Lichtgrafik. Die eindeutige Bezeichnung stammt von dem verstorbenen Kunsthistoriker Dr. Franz Roh, München, einem der wenigen Kunsthistoriker, der sich bereits in den 20er Jahren intensiv mit der Fotografie beschäftig hat.

Roh bezeichnete mit Lichtgrafik künstlerische Bemühungen, die auf der Grundlage des Fotogramms (Man Ray, Moholy-Nagy) entwickelt worden waren, somit also über die foto-technisch-chemischen Abläufe, aber unter Ausschaltung der Kamera. Verwendung fanden manuell erstellte Negative. Während Fotogramme meist Unikate bleiben, erlaubt das neue Verfahren jede beliebige Auflage in jeder gewünschten Größe mit dem Vorzug (theoretisch gesehen), dass sich der „Druckstock“ nicht durch Lichteinwirkung abnutzen lässt.

Lichtgrafik ist nicht zu verwechseln mit Foto-Grafik, einem reichlich nebulosen Ausdruck, unter dem die einen eine Kombination aus Fotografie verstehen, die anderen die Umsetzung von Normal-Aufnahmen in Strichätzungs-Vorlagen unter Verzicht auf die Grauwerte.

Im Gegensatz zu den bisherigen, von den Künstlern entwickelten druckgrafischen Techniken, hat sich über die fotografische Negativ- und Positiv-Schicht ein Gestaltungsmaterial angeboten, das sich an Subtilität und Variationsreichtum von keinem der bisher angewandten Verfahren auch nur annähernd erreichen lässt. Die Eigengesetzlichkeit des Materials (der Bromsilberschicht) lässt neben strukturellen und textuellen Möglichkeiten jede noch so ausgefallene Technik zu, bis zu diaphanen Kollagen, setzt aber voraus, dass sich der „Lichtgrafiker“ (meist Maler oder Grafiker) auf dem Wege über die Versuchsreihe bemühen muss, die Dinge „in den Griff“ zu bekommen. Hinzu kommt die überaus zarte Grauton-Skala vom reinsten Weiß bis zum tiefsten Schwarz, die allein diese Technik in dieser Vollkommenheit zu bieten vermag. Die mühevolle Technik des Punktstichs und der Schabkunst – heute aus Zeitmangel kaum mehr ausgeübt – kamen in ihren Graustufen unseren neuen Möglichkeiten noch am nächsten, blieben aber technisch einseitig und kraftlos in ihren Kontrasten.

Das Medium Fotografie als tragende Grundlage der Lichtgrafik erweist sich als Brücke zum Verständnis zur heutigen Kunst, wie das Interesse breiter Bevölkerungskreise an lichtgrafischen Ausstellungen beweist. Allein die Tatsache, dass sich hier Künstler einer sich allgemein bekannten Technik bedienen, löst beim Betrachter bereits eine neutrale, wenn nicht gar positive Einstellung aus. Das Kommunikationsmittel, welches neben Sprache und Schrift täglich auf sie einwirkt, ist ihnen so vertraut, dass sie auf diesem Umwege, erstaunlicherweise bereit sind, mit Abstraktionen konfrontiert zu werden, die sie sonst verständnislos ablehnen. Hier aber wird eine jedem geläufige Technik zum Ausdrucksmittel künstlerischer Interpretation: „das kommt an“, wenigstens beim Publikum. Nicht bei der Presse.

Im Gegensatz zu Amerika, wo man für Neues auf jedem Gebiet vorurteilslos aufgeschlossen ist, vorausgesetzt, dass das Neue Überzeugt, trübt hier der Ballast europäischer Kunsttradition den unbefangenen Blick und somit die unvoreingenommene Beurteilung. Während in der deutschen Presse die Lichtgrafik noch abgelehnt, bestenfalls totgeschwiegen wurde (mit Ausnahme von Franz Roh), stießen die „Light-Paintings“ oder Abstract Pictures on Film“ in den USA auf interessierte Zustimmung, auch bei der Presse.

Amerikanische Museen waren auch längst so weitblickend sich der Fotografie und der Lichtgrafik anzunehmen, während bei uns das Sammeln von Fotografien hauptsächlich von Privatsammlern durchgeführt wird. Rühmliche Ausnahmen bilden die von Prof. Otto Steinert geleitete Folkwang-Sammlung in Essen und die Sammlung der staatl. Landesbildstelle Hamburg unter der Leitung ihres rührigen Direktors Fritz Kempe.

Alle Neuerer sind im besten Sinne Amateure. Liebhaber, verliebt in ihr Arbeitsmaterial, in ihre Technik und besessen von ihren, sich selber gestellten Aufgaben. So auch Kurt Wendlandt.

Auch er kommt von der Grafik und Malerei und bringt damit die wichtigsten Voraussetzungen für einen Zu-Fall mit, der ihn an den Leuchttisch einer Klischeeanstalt führte, wo er erstmalig die Bekanntschaft mit Reprofilm und Astralon machte. Seitdem hat ihn „das Problem der Transparenz“ nicht mehr losgelassen, angefangen an die diaphane Collage bis zum transparenten farbigen Leuchtbild. Seine reiche künstlerische Phantasie paart sich glücklich mit seiner Freude am Experiment, was ihn auf diesem weiten Feld seine eigene, unverwechselbare Handschrift finden ließ. Auch er arbeitet mit Versuchsreihen, die er manchmal bis zum reinen Ornament miteinander kombiniert. („Trinität“, „Götterbild“, „Gral“, „Luzifer I“), während Blätter wie „Strahlenpflanze“, „“Kristallisation“, „Phönix“ oder „Unterirdisch“ und  „Die Nacht des großen Lampions“ den unbegrenzten Reichtum dieser neuen Technik ahnen lassen, die sich mit keiner der bisher bekannten Drucktechniken verwechseln lässt. Angesichts dieses visuellen Genusses eine köstliche Äußerung Franz Rohs: „Ich nenn solche Leute  >unmusikalisch auf den Augen<, denn sie können durch bloße Strukturen, Linien, Flächenzusammenhänge und -verläufe nicht in innere Bewegung geraten“.

Auch der „Schrei“ nach der unbegrenzten Multiplizierbarkeit, einer Forderung aus den Reihen der OP-Art-Künstler, die dem Original nicht mehr den Vorrang vor der Reproduktion einräumen wollen, dürfte über die (auch farbige) Lichtgrafik erfüllt sein.

Damit ist die falsch gestellte Frage, ob Fotografie Kunst sein kann, dennoch richtig beantwortet: Sie kann – als Lichtgrafik!