Berliner Künstler im Gespräch: Kurt Wendlandt.
Zeitungsartikel von Dr. Dieter Biewald in der Berliner Rundschau vom 2.10.1973 über den Berliner Lichtgrafiker Kurt Wendlandt
Der 1917 bei Posen geborene Sohn eines Musikers malte und musizierte schon mit 16 Jahren so ernst und bestimmt, daß es eigentlich des geistigen Anstoßes durch Käthe Kollwitz 1936 und ihrer Aufforderung, “am Bilde des zukünftigen Menschen weiterzuarbeiten“, gar nicht bedurfte. Wendlandt bekam ein Angebot, als Meisterschüler bei Hans Meid an der HfbK Berlin Malerei zu studieren – er aber “frißt sich“, wie er sagt, lieber durch die Kunstgeschichte und die alten Meister hindurch und holt sich so das handwerkliche und geistige Rüstzeug zum Malen, Zeichnen und Drucken bei Wehlte und Michel.
Nach schwer zu verarbeitender Soldaten- und Nachkriegszeit wird er zum Illustrator beim Verlag Droemer-Knaur; Kinder-, Schul- und Sachbücher sind sein Aufgabenfeld. Und 1962 erscheint, in Zusammenarbeit mit seiner Frau Elfi, “Fumo, der Rauchgeist“, ein Buch gegen die Umweltverschmutzung, das später zu einem Fernsehfilm verarbeitet wird – aber wer interessierte sich schon 1962 für dieses Thema?
Die Goethesche Farbenlehre und das Glasperlenspiel Hesses faszinieren ihn eine Zeit, dann ist ihm klar, daß er mehr als optische Darstellung sucht: Er braucht Reflexion. Sie findet er in Jean Gebsers Kulturphilosophie, in der sich Erfahrenes und Erdachtes miteinander verbinden. Gebsers Auffassung vom integralen Menschen, von der Transparenz und der Vielschichtigkeit des Menschen, kommen dem nach Vielfalt in den Darstellungsformen suchenden Wendlandt sehr entgegen, und so entwickelt er aus den ihm zu Gebote stehenden Techniken solche Formen, die vielschichtige Eindrücke hervorrufen.
Da gibt es – seine Lichtgrafiken; er stellt sie her, indem er direkt durchsichtiges Material auf lichtempfindliche Großnegative projiziert. Dieses Material wird dann fototechnisch durch Solarisation, Doppelbelichtung, Umkehrung, dosierte Unschärfen und ähnliches bearbeitet. Ein Beispiel dafür ist die abgebildete Lichtgrafik “Raumgerüst“, auf Leinwand solarisiert, von 1971.
Eine weitere Technik nennt er „Diaphane Grafik-Malerei“. Dazu setzt er Collagen aus Filmteilen beziehungsweise aus deren Negativen auf farbige, undurchsichtige oder auch durchsichtige Untergründe wie Plexiglas oder Farbfolien. Diese Bilder eignen sich auch bestens als von hinten · angestrahlte Leuchtbilder. Als weitere Technik hat er die „Mehrschicht-Collage“ entwickelt, zu deren Erstellung er Leinwand, Pappe, Papier, Filmteile und Folien auf farbig angestrichene Holzplatten klebt und zum Teil mit farblosem oder eingefärbtem Kunstharz überzieht.
Lassen wir es bei der Nennung dieser drei Techniken, er benutzt über zwanzig verschiedene, und betrachten wir, was er mit Hilfe der Technik für uns ausdrückt. Er, der statt wie früher mit Nadel und Säuren in der Radierwerkstatt, lieber mit Licht, Filmmaterial und Chemikalien in der Dunkelkammer experimentiert, möchte nicht nur “den auf Sinnenreiz gestimmten Betrachter ansprechen, sondern auch den zur Reflexion neigenden veranlassen, sich der Fülle der Ideen und Probleme bewußt zu werden, die hinter dem schönen Schein verborgen sind“. Dazu macht er motivliche Ausflüge sowohl in die figürliche Welt Ostasiens wie in die Sonnenlandschaften Italiens, wovon durchglühte, vielschichtige Landschaften Ischias zeugen, bis er zu symmetrischen Objekten wie „Verwandlungen” (1970) kam.
Dabei handelt es sich nun tatsächlich um ein offenkundig mehrschichtiges Werk auch im Aufbau, denn es besteht aus mehreren übereinander montierten Plexiglas-Scheiben, die verschiedenfarbig sind, und Metallfolien, Filmstücken und Glas. Die Frage entsteht, ist hier die Künstlichkeit nicht wie im „Glasperlenspiel“ schon so hochgetrieben, daß das Meditative keine Gemeinsamkeit, der Ausdruck keine Kommunikation mehr hervorrufen kann?
Seine davor entstandenen Röntgenbilder der Realität geben neue Dimensionen durch Verwendung vielschichtiger Technik, rufen vielerlei Impressionen hervor und motivieren Gefühle; seine Versuche in vielschichtigen Objekten bleiben dagegen eigenartig kalt; der Zauber der Lichtgrafik mit seiner Möglichkeit, das Phantastische, Unbewußte anzuregen, wird hier gegenständlich abgewiegelt.
Seine leuchtenden Strukturen, fast wissenschaftlich abgewandel und untersucht, kommen in die Nähe von Serigrafien, Verwandlungen, Metamorphosen, und seine Titel bestätigen die optischen Eindrücke von der Wandlungsfähigkeit der Ansichten; so heißen sie: “Dämon”, “Raumschraube“, “Phönis“ oder „Strahlenpflanze“.
Und noch deutlicher wird diese Auffassung in einem Blatt, das er “Dornenkrone” nennt. Hier vereint er die Vielschichtigkeit christlicher Symbolgehalte, allgemeinmenschlicher Leidens- aspekte mit floral-natürlicher Darstellung und gießt sie in eine Vielsichtigkeit der Darstellung, die tatsächlich in die Nähe eines Meditationsbildes kommt. Die Stofflichkeit der Malerei ist da tatsächlich zugunsten der Klarheit und Schwerelosigkeit von Glas und Licht, zugunsten der Transparenz verschoben, es wird abgebildet und dennoch in Spuren und Schemen geisterhaft an das Unbewußte appelliert.
In vielen Ausstellungen im In- und Ausland haben Menschen sich vom Reiz des durch den Maler Wendlandt kontrollierten Lichts einfangen und faszinieren lassen, sie haben die Vielschichtigkeit seines Ausdrucks durch seine Techniken erlebt und gespürt, daß es mehr gibt als das, was man sehen kann.